Hello, I’m Johnny Cash„. Schon beim Hören dieser einfachen Worte bekommt man Gänsehaut. Cash, der sich zu Beginn seiner Konzerte dem Publikum so vorstellte, ist die größte Americana-Ikone des 20. und 21. Jahrhunderts, der König der Countrymusik, des Rock and Rolls, Gospels, Blues und Hardcore-Folks. „Seine Stimme“, schwärmte Bob Dylan, „schien aus dem Mittelpunkt der Erde zu kommen“.

Als Man in Black wurde Cash schon zu Lebzeiten zur Legende und pendelte zwischen Weltruhm und Drogenabsturz, religiösem Eifer und bahnbrechenden Konzerten im Gefängnis. Mit whiskeygegerbtem Bariton sang er seine tief schürfenden Songs über Schuld und Sühne und das harte Leben der einfachen Leute. Sein Verzicht auf Pathos, seine große emotionale Schlichtheit nehmen den Hörer mit auf die Reise. Cash kopieren kann immer noch keiner!

Aus dem Repertoire, das er zwischen 1956 und 2003 bei seinen vier Plattenfirmen (Sun, Columbia, Mercury und American) einspielte, stammen um die 500 eigene Songs. Jeder kennt „I Walk The Line“, „Get Rhythm“, „Ring of Fire“ und „Cry! Cry! Cry!“. Weit über 50 Millionen Tonträger hat er verkauft. Sowohl zu Lebzeiten als auch postum hat man Cash mit den bedeutendsten Preisen und Ehrungen der Musikindustrie dekoriert, darunter 15 Grammy-Awards und seine Aufnahme in die Country Music Hall of Fame, die Rock and Roll Hall of Fame und die Gospel Hall of Fame.

Seine Kindheit im Süden der USA (Dyess, Arkansas) prägte der Hunger der Großen Depression. Früh verdiente Cash als Baumwollpflücker mit, verlor seinen Bruder bei einem tragischen Umfall in einer Sägemühle. Mit 12 kannte er das Hymnenbuch seiner Mutter auswendig, spielte irische Folksongs nach, lauschte dem Country-Kinderstar June Carter im Radio und schrieb seine ersten eigenen Songs. Nach seiner Stationierung als US-Soldat in Deutschland, 1953 in Landsberg am Lech, wurde Cash professioneller Musiker und revolutionierte die Popkultur, an der Seite von Elvis Presley, Roy Orbison, Jerry Lee Lewis und Carl Perkins, in Memphis, beim Sun-Label von Sam Phillips.

CASH

Ein begehrtes Sammlerobjekt: das „Unearthed“ Boxset mit 79 Songs aus der „American Recordings“-Ära

Die 1960er hindurch lebte Cash auf der Überholspur. Mit Songs wie „Folsom Prison Blues“ wurde er der Archetyp des Country-Outlaws. 1966 schien er am Ende, zerstört von Drogen und Eheproblemen. Sein rettender Engel war die zeitlebens von ihm angebetete June Carter, die mit ihm sein ganzes Leben über gemeinsam auftrat. 1968 machte Cash ihr auf der Bühne eines ausverkauften Konzertsaals einen Heiratsantrag – es war bereits sein 40. Versuch – und sie gab ihm endlich das Ja-Wort.

In den 1970ern wurde aus dem Stinkefinger zeigenden, harten Burschen Amerikas respektierte Country-Persönlichkeit. Mit June und seinen Kindern aus erster Ehe gründete er das epochale Carter-Cash-Tour-Ensemble, aus dem seine Tochter Rosanne Cash als erfolgreiche Solo-Künstlerin hervorging. Als Moderator seiner eigenen TV-Show empfing Cash die bekanntesten Musiker der Szene und ebnete jungen Künstlern wie Kris Kristofferson den Weg. Seine konservative Haltung, insbesondere sein Besuch im Weißen Haus auf der Höhe des Vietnam-Krieges brachten ihm zur Mitte der 1970er einen starken Popularitätsverlust.

In den 1980ern war Cash Teil der Country-Supergroup The Highwaymen, mit Chris Kristofferson, Waylon Jennings und Willie Nelson (letzteren traf er später auf dem exzellenten Live-Album VH-1 Storytellers – Johnny Cash & Willie Nelson wieder). Sein drittes Label Mercury stellte Cash nach einem weiteren Karriereknick zum Ende des Jahrzehnts aufs Abstellgleis. Auftritt Rick Rubin: Ab 1993 produzierte der Ex-Gründer des Hip Hop-Labels Def Jam vier epochale LPs von Cash, seine American Recordings, namentlich American Recordings, Unchained, Solitary Man und The Man Comes Around. Ihre unter die Haut gehende schlichte Schönheit machte den Singer-Songwriter in den letzten Jahren seiner Karriere zum Inbegriff des coolen Alternative-Countrysängers. Cash wurde zum Idol von U2, Nine Inch Nails, Depeche Mode und Nick Cave.

Als er 2003 starb, war die Anteilnahme so stark wie zuvor nur bei John Lennon und Bob Marley: Das Cash-Biopic Walk The Line mit Joaquin Phoenix und Reese Witherspoon (sowie der Country-Sängerin Shelby Lynne in der Rolle seiner verbissenen Mutter) nominierte man für fünf Oscars. Die gleichzeitig mit dem Film erschienene Cash-Compilation Ring of Fire – The Legend of Johnny Cash verkaufte sich millionenfach, sie hielt sich auf Platz 5 der US-amerikanischen Album-Charts und rangiert unter den größten Country-Bestsellern in Deutschland – unfassbar für eine CD mit teilweise fünfzig Jahre altem Material. Zwei weitere American-Alben (A Hundred Highways und Ain´t No Grave) von Cash wie auch sein großartiges Unearthed-Boxset schrieben die posthume Erfolgsgeschichte weiter. Cash für Fortgeschrittene bietet seine 2007 veröffentlichte Great Lost Performance, der Live-Mitschnitt eines Konzerts, das Cash mit seiner Entourage am 28. Juli 1990 im Paramount Theater von Asbury Park, New Jersey gab. The Great Lost Performance ist damit die Schnittstelle zwischen dem burschikosen Country-Outlaw (der späten 1950er) und der Country-Eminenz (der späteren 1990er). Und immer noch zieht der Katalog des Man in Black einen Kometenschweif hinter sich her, der einfach nicht verglimmt.